Schloss Gottorf

Arbeitsgemeinschaft Ur- und Frühgeschichte

AG-Leiter: Dr. Sönke Hartz, Stexwigfeld 5a, 24857 Borgwedel, Tel.: 04354 1342, E-Mail: soenke.hartz66@gmail.com

 

Die Arbeitsgemeinschaft Ur- und Frühgeschichte hat im Berichtszeitraum 2022/23 drei Vortragsveranstaltungen zur Ur- und Frühgeschichte Schleswig-Holsteins und eine Exkursion zu einer archäologischen Ausgrabung nach Freienwill bei Großsolt durchgeführt. Die Vorträge fanden im Bürgersaal des Gemeindehauses Sörup statt, der seit 2021 von der Gemeinde Sörup unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird. Die ca. einstündigen Fachvorträge waren mit durchschnittlich 10–15 Teilnehmern gut besucht und beschäftigten sich mit Themen aus der Steinzeit und der Eisenzeit.

Die Exkursion führte die Mitglieder der AG Ur- und Frühgeschichte zur Ausgrabungsstätte in Freienwill im zentralen Angeln. Dort wurde vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) in Schleswig eine mehrwöchige Hauptuntersuchung auf einer hochmittelalterlichen Siedlung durchgeführt. In Freienwill hatten die Mitglieder exklusiv Gelegenheit, die Befunde aus der Nähe anzuschauen und einer fachkundlichen Führung durch den Ausgrabungsleiter Lorenz Harten beizuwohnen.

Die drei Vorträge zu archäologischen Forschungsprojekten und aktuellen Ergebnissen von archäo-logischen Geländeuntersuchungen wurden von Hauke Jürgens aus Flintbek, Rolf Schultze M.A aus Schleswig und Dr. Sebastian Schultrich aus Kiel gehalten.

In der Veranstaltung am 16. Dezember 2022 referierte der Arzt und Amateurforscher H. Jürgens aus Flintbek zum Thema „Der Neandertaler im Norden und seine Werkzeuge. Einige auffällige Besonderheiten auf den altsteinzeitlichen Flintartefakten aus Drelsdorf“.

Schon seit den 1970er Jahren sind Werkzeuge und andere Artefakte aus der Zeit des Neandertalers (sog. Mittelpaläolithikum) von der Fundstelle Drelsdorf an der Westküste Schleswig-Holsteins bekannt. Dazu gehören Faustkeile und Schaber sowie Kernsteine und Abschläge aus Feuerstein. Sie unterscheiden sich von jüngeren, nacheiszeitlichen Steinar-tefakten nicht nur durch ihre Form und Zurichtung, sondern vor allem durch ihre stark glänzende Oberfläche („windgloss“, Abb. 1) und den teils abgerundeten Graten und Kanten (Abb. 2). Dies sind Indizien dafür, dass die Stücke während der letzten Hochvereisung vor mehr als 20.000 Jahren auf der vegetationsfreien Erdoberfläche im Vorfeld der Gletscherfront lagen und dort den Staub- und Sandstürmen weitgehend ungeschützt ausgesetzt waren.

 

H. Jürgens, der seit 2018 regelmäßig und systematisch den Fundplatz in Drelsdorf absammelt und alle Funde dreidimensional einmisst (Abb. 3), hat sich ausführlich mit diesen Phänomenen beschäftigt. Insbesondere interessierte ihn die Entstehung des Oberflächenglanzes, der Kantenabrundungen und der flächig begrenzten Polituren auf Flintartefakten durch chemische und physikalische Prozesse. Dafür untersuchte er das originäre Fundmaterial mit einem hochauflösenden Mikroskop, führte Versuche mit verschiedenen Säuren an frisch geschlagenen Flintabschlägen durch und berieselte mit selbstgebauter Technik monatelang frische Flintstücke mit Sand verschiedener Korngrößen. Es galt dabei herauszufinden, ob Oberflächenveränderungen auf einem Flintartefakt auch durch chemische Prozesse im Boden ausgelöst werden können und was genau auf der Oberfläche eines Flintspaltstückes passiert, wenn es längere Zeit durch Staubpartikel und Sandkörner poliert wird.

Ein Fazit seiner aufwendigen mikroskopischen und experimentellen Analysen ist, dass sowohl chemische als auch physikalische Prozesse zu Glanzphänomemen auf Flintsteinen führen können, während die teils starken Kantenabrundungen wohl ausschließlich physikalisch durch Bewegungen im Sediment oder durch Wasserrollung hervorgerufen werden. Der Begriff „windgloss“ muss für die Drelsdorfer Fundstücke aus der Zeit der Neandertaler deshalb wohl neu definiert werden bzw. erweitert werden.

Am 25. März 2023 informierte der Archäologe und wissenschaftliche Mitarbeiter des ALSH in Schleswig, R. Schulze, über den Stand seiner Ausgrabungen zwischen den Orten Süderbrarup und Brebel. Dort wird seit März 2022 eine archäologische Hauptuntersuchung auf einer Siedlung der jüngeren römischen Kaiserzeit (etwa 250–400 n. Chr.) durchgeführt, die erst 2021 entdeckt und dann zunächst voruntersucht wurde.

Unter dem Titel [Kursiv]„Opfern im Thorsberger Moor, wohnen in Brebel? Eine neuentdeckte jüngerkaiserzeitliche Siedlung in Angeln“[Ende kursiv] stellte R. Schulze die neuesten Grabungsergebnisse vor und verknüpfte sie mit der zweiten großen Niederlegung von Opfergegenständen im Thorsberger Moor. Bisher wurden mehr als 2.400 archäologische Befunde ausgegraben, darunter Kochsteingruben (Abb. 5) und zahlreiche Pfostengruben (Abb. 4), aus denen sich mindestens 20 Gebäudegrundrisse rekonstruieren lassen. Interessant dabei ist, dass hier nicht nur gut erhaltene Strukturen von Langhäusern zutage kamen, sondern nach und nach ganze Gehöfte erkennbar wurden. Eines davon besteht aus einem 28 m langen Langhaus mit Nebengebäude und Umzäunung.

Die neuen Befunde und Fundstücke aus den frühen Jahrhunderten nach Christus lassen auch erstmals auf eine zeitliche Verbindung von Siedlung und Opferplatz im Thorsberger Moor schließen. Bisher war es weitgehend unbekannt, wo ein Teil derjenigen Menschen wohnten, die an den Kämpfen in der Umgebung des heutigen Süderbrarup und an den anschließenden Opferzeremonien im Moor teilgenommen hatten. Auch das große zeitgleiche Gräberfeld auf dem Marktplatz in Süderbrarup erscheint unter den Neufunden in Brebel in ganz anderem Licht. Aber auch noch ältere Epochen der Menschheitsgeschichte haben in Süderbrarup/Brebel ihre Spuren in Form von Gräbern und Siedlungsstrukturen hinterlassen, sodass dieser Ort über einen langen Zeitraum immer wieder aufgesucht wurde. Die Funde fallen quantitativ wie auf vielen aufgegebenen ländlichen Siedlungen nicht allzu üppig aus. Am häufigsten sind Tonscherben von unverzierten Haushaltskeramiken, dazu kommen ein Mühlensteinfragment, ein Webstuhlgewicht und einige wenige indifferente Metallgegenstände, darunter eine Fibel (Gewandschließe) als Beigabe in einem Urnengrab der gleichen Zeitstellung.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter S. Schultrich vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU Kiel war am 26. Mai 2023 zu Gast bei der AG Ur- und Frühgeschichte in Sörup. In seinem Vortrag „Zeuginnen gesellschaftlichen Wandels: Neolithische Streitäxte in Schleswig-Holstein und Europa“ beschäftigte er sich mit den archäologischen Fundstücken wie Keramiken, Flintbeilklingen und Felsgesteinsäxten (Abb. 6) und den gesellschaftlichen Veränderungen im 3. und 4. Jahrtausend v. Chr. Die häufig filigran herausgearbeiteten Felsgesteinsäxte aus der Jungsteinzeit (Trichterbecherkultur und Schnurkeramik/Einzelgrabkultur) werden auch als Streitäxte bezeichnet. Im nordischen Neolithikum (ca. 4100–1700 v.u.Z.)war die Streitaxt ein überregional bedeutsames Statussymbol für bestimmte Gesellschaftsschichten, da sie häufig in Männergräbern auftauchen. Nicht nur die Form und Größe der Streitäxte, sondern vor allem der Personenkreis, der eine Streitaxt führte, verändert sich im Laufe der ca. 2.000 Jahre währenden Erfolgsgeschichte jedoch sehr. Darüber hinaus treten die elaborierten Formen (Abb. 7) in der in der Spätphase des Jungneolithikums (ca. 2850–2250 v. Chr.) erstmals auch in Deponierungen auf. S. Schultrich stellte zum Verständnis dieser Entwicklung zunächst die verschiedenen Streitaxttypen Schleswig-Holsteins vor und ging auch auf deren Herstellungsmethode ein. Ein besonderer Fokus wurde anschließend auf die Schnittstelle zwischen Bestattung und Streitaxt gelegt und der Wandel der lokalen Bestattungssitten von der Trichterbecherkultur zu Einzelgrabkultur aufgezeigt. Der Übergang zwischen diesen Kulturen erweist sich nach neueren Untersuchungen nicht so abrupt, als noch in älteren Beiträgen dargestellt. Insbesondere im südwestlichen Schleswig-Holstein ist die kontinuierliche Entwicklung z.B. in der Landschaftsnutzung am stärksten, wie Pollenanalysen und die Weiternutzung von Wegesystemen und monumentalen Grabbauwerken (Megalithgräber) belegen. Auch die Weiternutzung von Grabenwerken wie beispielsweise in Albersdorf/Dieksknöll ist als ein Hinweis auf Kontinuität anzusehen. In einem weit gefassten Überblick über das Jungneolithikum in Mitteleuropa stellte der Vortragende am Ende des Vortrags die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in temporaler und räumlicher Dimension dar.

Am 16. August 2023 waren die Mitglieder der AG Ur- und Frühgeschichte zu einer Führung auf der archäologischen Ausgrabung in Freienwill bei Großsolt zu Gast (Abb. 8).

Der Ausgrabungsleiter Lorenz Harten vom ALSH berichtete vor Ort über seine Untersuchungen einer hochmittelalterlichen Siedlung aus dem 12. bis 15. Jahrhundert, deren Spuren im Jahre zuvor bei Voruntersuchungen im Rahmen der Ortserweiterung eines kombinierten Wohn- und Gewerbegebietes entdeckt wurden. Das Grabungsteam um L. Harten konnte wie zuvor auf der eisenzeitlichen Siedlung in Bollingstedt zahlreiche archäologische Befunde ausgraben und dokumentieren, die es so umfänglich in der Umgebung von Freienwill noch nicht gegeben hat. Am häufigsten sind Pfostensetzungen, die im Untergrund als flache, dunkle Verfärbungen zu erkennen sind und die sich zu Grundrissen von mindestens zwei Gebäuden rekonstruieren lassen. In einigen dieser Gruben wurden faust-kindskopfgroße Steine gefunden, die vermutlich zur Befestigung der tragenden Holzpfosten für die Häuser dienten.

Auch Ofengruben unbekannter Funktion (Abb. 9) und andere Eingrabungen in den Boden wurden entdeckt, wobei nicht alle evidenten Strukturen aus dem Hochmittelalter, sondern evtl. auch jüngeren Datums sein dürften. Das Erkennen und die zeitliche Zuordnung der Verfärbungen im Boden sind ohne datierbare Funde schwierig, dazu kommt, dass die Geländeoberfläche durch die Flurbereinigung zu Beginn der 1970er Jahre stark gestört ist. Auch Tiergänge und lokale Ortsteinbildung erschweren die Dokumentation und Interpretation der Befunde. Das kleine Kontingent an Fundmaterial setzt sich aus Tonscherben vom Typus harte Grauware, etwas indifferentem Metall und Holzkohlen zusammen, dazu kommen eine Handvoll Getreidekörner, die allerdings mit der Radiokarbonmethode sehr genau zu datieren sein werden.

Sönke Hartz
(Leiter AG Ur- und Frühgeschichte)


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