Asmus Remmer
Wenn man neben dem Grundhofer Kirchhof wohnt, ist es nur normal, dass man mit Menschen ins Gespräch kommt. Man kennt sich oder auch nicht. Man wird angesprochen oder spricht an. Ein Moin über die Gartenhecke ist üblich.
Der Fotograf Asmus Remmer
Vortrag von Jörg Peter Balcke am 14. Mai 2006 in der Mühle Westerholz
Eines Tages werde ich von einem älteren, quirligen Herrn schlohweißem Haarschopf angesprochen, den ich nicht kenne. Es ergibt sich ein längeres interessantes Gespräch. Erst sehr viel später geht mir auf – das muss Asmus Remmer gewesen sein.
Das war meine erste Begegnung mit dem „Hoffotografen Angelns“. Im Jahr 2000 – der Arbeitskreis Kirchspielchronik Grundhof war gegründet und wir arbeiteten intensiv an der neuen Chronik – entsteht ein neuer Kontakt. Asmus bietet uns seine Bilder an. Wir treffen uns. Wir werden von ihm eingeladen und er erzählt viel aus seinem Leben und von seiner Arbeit. Leider haben wir keine Gesprächsprotokolle hinterher geschrieben. Er war ja da, und wir konnten ihn immer fragen.
Auf alle Fälle haben wir ihn als einen hellwachen, ideenreichen, faszinierenden Menschen kennengelernt. Asmus Remmer wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Ein Grund über ihn und seine Arbeit einmal intensiv nachzudenken. Ich will versuchen, hier einige Facetten dieses Hoffotografen Angelns aufzuzeigen. In der Ausstellung in Unewatt sind auch einige seiner Rußlandbilder zu sehen. Erstaunlicherweise gibt es kaum Bilder vom eigentlichen Krieg.
Für mich ist diese Bilderserie ein Schlüssel zum Menschen Asmus Remmer. 2003 wurden diese Aufnahmen in einer Ausstellung in Moskau gezeigt. Die russische Presse schreibt sehr viel dazu. Hier nur einige Sätze: „Eine Sensation … ein Farbfilm aus der Zeit des zweiten Weltkrieges … eines Krieges, der in der … Vorstellung für ewig schwarz-weiss erscheint. … Farbfotos aus der Kriegszeit … Die Ausstellung von Asmus Remmer ist tatsächlich eine Sensation. Das Unmögliche ist zu sehen. Bilder, die es nach Weisung der Sowjetführung gar nicht mehr geben kann, ebenso sensationell, wie farbige Bilder aus dem Krieg. Umso mehr, als von Kriegsgeschehen auf diesen Bildern nichts zu sehen ist, und das von einem faschistischen Agressor fotografiert.
Es ist tatsächlich so: Der Krieg findet auf Asmus Remmers Bildern nicht statt. Es gibt kein Bild mit Pulverdampf und Kampfgetümmel. Das überlässt Asmus den Kriegsberichterstattern und der Propaganda. Ich fand nur: –Das Bild eines erschöpften, verwundeten Soldaten – einen Panzer inmitten einer Landschaft - Rauchschwaden und Feuerschein über einem Dorf im Hintergrund. Das sind die einzigen Bilder die den eigentlichen Krieg symbolisieren.
Asmus ist fasziniert von der russischen Landschaft und den Menschen. Er schreibt dazu:
„Im Morgengrauen, kurz vor Sonnenaufgang, sehe ich in der Ferne das erste russische Dorf; im Schnee versunken wie das ganze Land. Bilder stürzen auf mich ein … Ich sauge Motive in mich hinein, die ich nie vorher sah. Ich richte die Kamera immer wieder nach oben, in den Himmel, der in phosphoreszierter Watte seltsam entrückt zu sein scheint …
„Ein Mädchen, tief vermummt und durch ein breites Kopftuch geschützt, holt aus einem Brunnen Wasser. An einem Strick befestigt, lässt sie den Holzeimer herab, beugt sich über den Brunnenrand, schaut beim Hochkommen einmal kurz zu mir herüber, als die Kamera klickt.“
„Der alte Russe steht vor mir, in dessen Antlitz die Furchen und die Tiefe des Landes sich zu spiegeln scheinen.“
Der Geburtstagsbrief
„ >Verlegung des Gefechtsstandes nach rückwärts< Ich versuche wie alle anderen auf den einzigen Kübelwagen zu springen. Ich rutsche ab, komme nicht hoch, alles Rufen nützt nichts mehr. Ich bleibe zurück. Der Gefechtsstand ist der einzige Platz der jetzt Deckung und Schutz bietet – bis der Russe kommt. Wir wissen, bei solchen Angriffen werden keine Gefangenen gemacht. Aber wir müssen warten, bis es dunkel wird. Dann los. Die Sterne sind … die einzige Orientierung. Quer durch die Steppe laufen und kriechen wir Stunde um Stunde, der Gefechtslärm wird weniger, hört fast ganz auf. … Im Morgengrauen ein Dorf. Es ist leer, die Menschen sind … geflüchtet. In einer Hütte fallen wir um, schlafen auf der Stelle ein. Als wir erwachen … weiter, nur weg hier. Wir treffen Versprengte. Bald sind es 30. Müde hungrig, aus Wasserpfützen unseren Durst stillend, suchen wir in der endlosen Weite dieses Landes unser Regiment. … Nach endlos scheinenden Tagen und Nächten stoßen wir endlich auf deutsche Soldaten … Ihr Kommandeur, der plötzlich vor uns auftaucht, befiehlt in einem rüden Ton, dass wir sofort antreten sollen. Wir wackeln, ein erschöpfter, verdreckter Haufen … Der Kommandeur schreit uns an: >Schweinerei, ich sollte Sie erschießen lassen. Ich lasse Sie sofort wieder nach vorn bringen. Feiglinge<. Als er sich ausgetobt hat, trete ich ihm entgegen und frage, ob er eigentlich wisse, woher wir kämen. Und dann schreie ich alles heraus, was sich beim grausigen Trommelfeuer, beim Sterben und Schreien meiner Kameraden, beim Durchbruch der übermächtigen russischen Panzer … beim endlosen, verlorenen Marsch … in der Kälte und Verlorenheit der Nächte in mir angesammelt hat: >Ich kann nicht mehr – wenn Sie wollen, erschießen Sie mich doch. Ich weiß nicht mehr wofür ich sterben soll – hier weiß ich es dann wenigstens<.“
Diesen Worten ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen.
Wie kommt es nun, dass Asmus Remmer keine Bilder dieser Hölle aufzeichnet, dass man in seinen Rußlandbildern heile Welt findet, der Krieg irgendwie ausgeblendet ist?
Meine persönliche Überzeugung dazu ist: Zum einen zeigt sich hier wohl der Einfluß der Erziehung und des Lebens im Elternhaus. Asmus Remmer schildert ein Ereignis von 1914. Zwischen Eduard Remmer und der Gemeindeschwester, die auf dem Weg zum Bittgottesdienst für den Sieg ist, entspinnt sich folgender Dialog: „Herr Remmer, es kann uns doch nichts passieren, wenn wir genügend zum lieben Gott beten“ Darauf Eduard: „Schwester, es hat ein großer Feldherr gesagt: Der liebe Gott ist bei den größten Kanonen.“
Kommentar des Pastors in der Predigt: „Es hat ein Gemeindemitglied geäußert, unser Herrgott könne uns nicht helfen, welch törichtes Wort!“
Weiterhin berichtet Asmus: Dass meine Eltern uns nicht mit Schießgewehren und Säbeln spielen ließen, wird jedem klar, der meine Eltern gekannt hat. So nähte meine Mutter uns die nötige Uniform, dass wir als Sanitäter spielerisch Kriegsdienst leisten konnten.
Asmus schreibt in Russland: „Wir sind mehr als tausend Kilometer in das russische Imperium eingedrungen und die ganze Zeit haben mich die Gedanken darüber beunruhigt, in welchem Zustand wir dieses Land versetzt haben werden, wenn wir es verlassen werden.“ Und so versucht er wahrscheinlich die noch heile Landschaft und ihre Menschen wenigstens im Foto zu bewahren.
In einer Dokumentation über den Kampf um Leningrad fand ich folgende Tagebuchnotiz eines sowjetischen Regimentskommandeurs:
„Die Artillerie zerhackt die ganze Zeit den Wald, der Jahrhunderte unangerührt war. Er ist bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen.“
Zum andern war Asmus in erster Linie Portraitfotograf. Ein solcher Fotograf kann seine Bilder nur verkaufen, wenn alles harmonisch dargestellt ist.
Außerdem zeigt auch seine Serie „Das schöne Angeln“ immer die Harmonie der Landschaft. Eine Landschaft, die ihn in ihrer Schönheit genauso fasziniert wie die russische Landschaft. Wie Gerd Remmer vorhin erläutert hat, hat er teilweise viel Arbeit und Mühe aufgewandt, um diese Landschaft noch schöner zu zeigen.
Ich werde Ihnen jetzt noch ein paar Fotos zeigen – einmal Russland – einmal Angeln. Ich meine, an ihnen wird deutlich: Asmus Remmer ist seinen Idealen der Sicht von Mensch und Landschaft immer treu geblieben
Ein Mann mit Ecken und Kanten
Das Schlusswort überlasse ich einem der hervorragendsten Kenner Angelns und seiner Bewohner, nämlich Reinhardt Miether. In seiner Ansprache beim Begräbnis von Asmus Remmer sagte er:
„Asmus Remmer“ - ungewöhnlich kreativ, aktiv und voller Ideen und mitteilsam war er Zeit seines Lebens und ist das geblieben bis in sein hohes Lebensalter hinein. Diejenigen, die ihn gut gekannt haben, geben bei aller Wertschätzung zu, dass er auch sehr anstrengend sein konnte, dass er Menschen in Anspruch nehmen konnte für seine Ideen und Ziele, ohne oft daran zu denken, ob er diese nicht auch überfordern könnte. Bei allem, was er war, war er auch ein Mann mit Ecken und Kanten, ein Mann mit einem sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein. Aber dieselben Menschen wissen dazu, wer er auch war, ein Mann von großer Herzlichkeit, ein Mann mit tief ausgeprägter Frömmigkeit, einer, den man als Fotograf zu den Pionieren zählen darf, lebhaft und beweglich, beschenkt mit einem besonderen Auge und mit einem besonderen Herzen.